„Ein Text ist immer auch eine Intervention“
sagst du und wie immer hast du recht. Wir sitzen bei dir und ich höre mir an was es zu den ersten zwei Kapiteln zu sagen gibt. Du erzählst, dass du meine Art zu schreiben magst und es auch gerne liest weil du mich kennst. Dass dir unklar ist wohin ich mit dem Text will und dass du dich fragst wer das lesen soll. Für irgendeinen Text sei die Zeit ja eigentlich auch zu schade. Ich solle mir mal Gedanken machen was und wohin ich mit dem Text will, dann würde er sicher Struktur gewinnen.
Wir diskutieren über den Text und was ich glaube damit zu wollen. Warum es mir wichtig ist daran herum zu schreiben. Ob es nicht besser wäre das ganze nur auf einem Blog zu veröffentlichen und so in direkter Diskussion mit den Leser_innen zu sein. Aber ich will es gerne auch auf Papier.
Mist – ich hatte mir das Ganze einfacher vorgestellt und denke herum. Es ist eben nicht nur eine Fleißarbeit – bisschen Aktenlesen hier, ein paar zynische Kommentare da, irgendwann scheint es genug zu sein, gegenlesen lassen, zwischen ein schickes Cover heften und fertig – damit komme ich nicht davon.
Also mache ich mir Gedanken
Was will ich? Wofür? Was muss rein und was kann ich auslassen? Ich verabschiede mich von meiner Timeline und denke aus Ratlosigkeit plötzlich über eine Release-Party und verschiedene technische Belanglosigkeiten nach. Dann finde ich zurück zum Text und mache langsam weiter.
Warum
Und warum finde ich nun dass es – jenseits von Selbst-Reflektion – Sinn machen kann diesen Text zu schreiben/ lesen?
Ja ich will intervenieren. Auch. In einen Umgang mit Repression, der mir zu wenig Emotionen hat. Gegen ein Verständnis von „nicht Jammern“ als politischen Umgang – und das meine ich im Sinne von nicht zeigen, dass es einem an die Nieren geht. Gegen Hart und Cool sein und sich nicht aufregen, weil vom Staat ja nichts anderes zu erwarten ist. Das stimmt und dennoch fühle ich bisweilen „bürgerliche Empörtheit“ über die Übergriffe und das Eintreten auf meine „Grundrechte“. Ich will Alles und ich will dabei nicht stehen bleiben. Ich will für ein anderes Ganzes stehen und dieser Text vielleicht auch. Auch für einen anderen Solidaritätsbegriff. Solidarität auch als lieb sein zueinander gesehen. Politische Zusammenhänge – und ich weiß, dass das bei aus der Not geborenen Soligruppen fast unmöglich ist – nicht nur als Arbeitszusammenhänge sehen. Ich will keine Kolleg_innen und keine Pflichttermine.
Dabei ist die Soliarbeit ja „gut“ gewesen. Es war super die unmittelbar fehlenden Dinge ersetzt zu bekommen und die Texte die entstanden waren unbedingt notwendig. Alle mir bekannten Texte von Betroffenen und Soligrupen findet ihr unter: http://gemeintsindwiralle.ucrony.net ). Niemand kann in der unmittelbaren Situation den Bedürfnissen mancher Betroffener genügen. Schon gar nicht bei einem zusammengewürfelten Haufen. Manche brauchen mehr emotionalen Support als andere und alle auf verschiedene Weise. Ich denke heute, es ist wichtig erst einmal jeden Ansatz ernst zu nehmen und wenn möglich auch zu unterstützen und dabei stelle ich emotionale Sicherheit vor politischen Nutzen.
Doch eigentlich enthält der Text nichts von diesen Gedanken. Ich versuche aus meiner Sicht zu zeigen was passiert ist. Was ich an den Akten spannend finde – ich habe nur einen Bruchteil gelesen und was das Verfahren mit mir gemacht hat. Dabei bin ich alles andere als perfekt oder besonders revolutionär. Ich bin aufgewachsen in der BRD, „im Kapitalismus“, und merke immer wieder wie viel „System“ ich eben doch verinnerlicht habe. Auch meine Wünsche und Träume sind sicher davon beeinflusst und so auch mein Umgang mit staatlichen Übergriffen. Ich hoffe einen kleinen Blick aus meiner Sicht bieten zu können, der vielleicht besser verstehen lässt was ich empfinde. Vielleicht kann es für manche greifbar machen was passiert ist, vielleicht können sich andere darin wieder finden, vielleicht führt es zu einem kraftvolleren Umgang.
Tatsächlich habe ich keine Ahnung ob dieser Text intervenieren kann und worin genau, nicht einmal ob das überhaupt nötig ist. Er ist in unabhängigen Abschnitten geschrieben, es ist egal wo du weiter liest. Ich bin gespannt auf Feedback und ich freue mich wenn du weiter liest. Ich habe ihn für dich geschrieben.