129 akten
Die großen Papiere
Categories: General

Die großen Papiere

Durchsuchungsbefehl, Erkenntnisberichte, all diese absurden Papiere, die sich kaum eine_r so richtig vorstellen kann. Irgendwie wichtig darüber zu berichten und diesen Teil der Repression greifbarer zu machen, aber auch verdammt schwer dabei nicht in gähnender Langeweile oder verharmlosender Lächerlichkeit zu versinken. Zu wirr die Konstrukte, zu langweilig die immer wiederkehrende Faktenlage. Und doch offiziell ausreichend zur Rechtfertigung immer weiter gehender Verfolgung.

Da sich ohnehin alle gleichen, nehme ich exemplarisch „meine eigenen“. Die Durchsuchungsbefehle sind ohnehin im wesentlichen identisch und auch die wesentlichen Punkte der Personenerkenntnisse.

„Statt 08 15 bin ich 129a“1 – Der Durchsuchungsbefehl

Ganze acht Seiten ist das Papier, das dazu berechtigen soll, mein Zimmer auf den Kopf zu stellen, dann gibt es nochmal acht Seiten, die eine DNA-Entnahme einfordern.

Ich bekomme beides zum ersten Mal am Morgen des 9. Mai zu lesen und zwar vor der Durchsuchung. Das ist bei weitem nicht bei allen Betroffenen so gewesen, zum Teil wurde selbst dieses Minimalrecht vorenthalten und lediglich die erste Seite mit dem Briefkopf und den Worten „Beschluss“ und „Durchsuchung“ vorgezeigt ohne eine Kopie heraus zu geben. Natürlich ändert das nichts an der Faktenlage – das Zimmer wird durchsucht – dennoch ist es wichtig eben auch vorhandene Rechte und Mindeststandards vehement einzufordern.

Finden will man bei mir angeblich Beweismittel, besonders über die Finanzierung und die Organisation der militanten Kampagne zum G8 in Heiligendamm. Dazu zählen sie Kommunikationspläne (was auch immer das sein soll), Adressbücher, Bekenner_innenschreiben, Zettel über Vorbereitung und Flucht, Nachweise verschlüsselter Kommunikation (!) und nicht zuletzt Zünder, Zeitschaltuhren und Werkzeug.

Die Begründung beginnt mit den Namen aller Betroffenen und der Feststellung, dass gegen sie ein Verfahren wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung geführt würde. Der §129a fällt, und der Verdacht, gegen den G8-Gipfel zu sein und diesen mit Brandanschlägen und anderen direkten Aktionen zu stören oder zu behindern, wird geäußert. Nachdem mit einem Wirrwarr aus Paragraphen die eigene Zuständigkeit behauptet wird, geht es weiter mit Anschuldigungen gegen mich.

Zumindest macht es den Anschein.

Bei genauerem Lesen wird klar, dass der erste Teil dieser „persönlichen Begründung“ bei Allen gleich ist und lediglich durch ein paar wenige Sätze ergänzt wird. Einige ältere Autonome werden genannt, mit der Behauptung sie seien gegen die Tagung von IWF und Weltbank 1988 militant vorgegangen und das Buch „Autonome in Bewegung“ (Assoziation A) wird als Beweis für diese Behauptung herangezogen.

Seit 2005 gäbe es konspirative Treffen, außerdem seien die Betroffenen auch auf dem BUKO gewesen um gegen den G8-Gipfel zu mobilisieren und einige von ihnen bei dem Dissent!-Treffen.

Dann wird über Anschläge geredet und eine räumliche Nähe zu Hamburg festgestellt. An Hand dieser Anschläge wird der Kreis der Betroffenen ausgeweitet, da die zuerst Betroffenen das nämlich alleine gar nicht auf die Reihe kriegen würden. Also wird im Umfeld der Betroffenen gesucht und es folgen tatsächlich einige auf mich zugeschnittene Worte. Ich sei in der selben Anti-Atom-Gruppe wie einer der zuerst Betroffenen und hätte konspirativ Kontakt zu meinem Mitbewohner und einem weiteren Freund. Außerdem gebe es den Verdacht, ich sei auf einem Dissent!-Treffen gewesen. Dann hätte ich ein Referat über Gipfelproteste gehalten an dem auch ein weiterer Betroffener Interesse gehabt hätte. Darum sei ich Mitglied einer terroristischen Vereinigung.

Insbesondere der Hinweis auf das Referat über Gipfelproteste sorgte im Nachhinein für einiges an Aufregung. Es wurde im Rahmen eines Uni-Seminars gehalten und zeitlich vor dem in der Öffentlichkeit einige Monate später breit diskutierten Angriff auf Andrej Holm.2 Damals galt Wissenschaft, auch kritische, in der BRD noch als Notwendigkeit und wurde nicht mit Gefahr verknüpft. Von vielen wurde die Nennung des Referats als Versuch gesehen, kritische Wissenschaft zu verhindern, den viele damals nicht für möglich gehalten hätten. Dennoch konnte sich der Leiter des Fachbereichs nicht zu einer öffentlichen Stellungnahme durchringen.

Nach dieser bei allen doch sehr schwach konstruierten Anschuldigung folgt eine Aufzählung der Aktionen, die uns zur Last gelegt werden. Ich zähle zwölf und bis auf zwei mal beginnt jede Schilderung mit dem Wort Brandanschlag. Im Laufe des Verfahrens wird diese Liste noch erweitert, was an der Situation jedoch nichts ändert.

Zum Abschluss wird noch einmal aufgezählt, was man bei mir finden will mit der Einschätzung, das auch zu finden und darauf gepocht, dass die Durchsuchung verhältnismäßig, also okay, sei.

Das Papier zur DNA-Entnahme ist im wesentlichen gleich, nur dass nicht in meinem Zimmer, sondern mittels eines Wattestäbchens in meinem Mund gesucht wird.

Die Personenerkenntnisse

Zur Begründung der Durchsuchung, und anderer Eingriffe im Rahmen des Verfahrens, werden immer wieder sogenannte Personenerkenntnisse durch das BKA/ LKA erstellt. Hier werden alle durch die Überwachung gewonnenen Informationen zusammengestellt, vielleicht in der Hoffnung, da irgendwann etwas reinschreiben zu können, was zumindest für eine Anklage reichen würde, wahrscheinlich aber nur um dem Ganzen einen offiziellen Rahmen zu geben. Eine Anklage war allen Einschätzungen nach nie das Ziel dieses Verfahrens, was bei §129a-Verfahren im Übrigen eher Regel als Ausnahme ist.3

Die Erkenntnisberichte sind alle gleich aufgebaut. In bis zu 19 Punkten wird aufgelistet, was für wichtig gehalten wird. Nach Name und Geburtstag folgen aktuelle Wohnungen und Mitbewohner_innen, Hauptmieter_innen und sämtliche ehemalige Anschriften.

Danach folgt eine Aufzählung aktueller und abgelaufener Pässe und der Versuch zu klären, ob man ein Auto fahren darf. Das scheint schwierig zu sein und so steht dort lediglich, dass an meiner Meldeadresse keine derartige Erlaubnis registriert ist.

Es folgen mehrere Seiten mit Telefonnummern und Mailadressen. Alle Handy- und Telefonfirmen, alle großen Mailprovider (web.de, GMX etc.), ebay und so weiter wurden angeschrieben und haben großzügig Einblick in die Postfächer gewährt. Darüber wurden auch Adressen bei linken Providern bekannt, die jedoch ohne Durchsuchung vor Ort nicht eingesehen werden konnten.

Es wird aufgelistet, ob ich ein Auto oder eine Bahncard habe und was für eine. An Hand des Punkte-Sammel-Programms der Bahn werden alle mit der Bahncard gebuchten Reisen aufgeführt, natürlich mit dem Hinweis, dass die Bahn leider nicht sagen kann, ob diese Reisen auch tatsächlich gemacht wurden.

Alle Konten seit der Geburt, Kreditkarten, Ausbildung, Beruf, besondere Fähigkeiten, ein Auszug aus dem Bundeszentralregister, eine Anfrage bei der Stasi – gähnende Langeweile im bürgerlichen Lebenslauf.

Meine autonome Gruppe verschwindet in dem etc. bei Punkt 8, der über Mitgliedschaften in Vereinen etc. berichtet. Es wird kurz erwähnt, womit wir uns beschäftigen und wer auf unserer internen Mailingliste steht. In jedem Bericht wird der Punkt ein bisschen länger und ja, unter anderem sind wir seit Bericht zwei auch gegen den G8-Gipfel.

Auch eine vergangene erkennungsdienstliche Behandlung wird erwähnt und in welchem Zusammenhang die Bilder und Fingerabdrücke gemacht wurden. In der tabellarischen Personenbeschreibung finden sich Punkte wie „Typ: nordländisch“, die, wie auch die Beschreibungen in den Observationsprotokollen, Hinweis auf einen rassistischen Grundkonsens der Verfolger_innen geben.

Dann wird es etwas spannender und alle vergangenen Ermittlungsverfahren werden als Erkenntnisgewinn dargestellt. Ich habe vor fünf Jahren Flyer verteilt ohne das vorher anzumelden, vor vier Jahren gegen Militarismus protestiert und für Wagenplätze und so weiter. Auch wenn ich lediglich als Zeuge vorgeladen wurde, wird das erwähnt.

Der Verfassungsschutz tritt noch einmal mein Uni-Referat breit. Er will aus abgehörten Telefonaten erfahren haben, das ich ein solches gehalten hätte. Das LKA redet über angemeldete Kundgebungen und darüber, ob und welche Plakate durch unser Fenster entdeckt wurden.

Die Feststellung, dass keine Erkenntnisse im Zusammenhang mit Aktionen gegen den G8 vorliegen, wird gemacht. Tatsächlich ändert sich diese Einschätzung bei keine_m der Betroffenen und wird lediglich herangezogen um zu erwähnen, dass wir grundsätzlich schon dagegen sind und um weitere Maßnahmen einzufordern. Wenn es nach einem halben Jahr Überwachung4 keinen Hinweis gibt, liegt es in der Logik der Repressionsbehörden, diese zu intensivieren.

In einem anderen Abschnitt wird noch einmal darauf eingegangen, ob ich denn nun gegen den G8 sei. Seitenlang folgen Mitschnitte von Radiosendungen beim Freien Radio und Telefonate mit Bezug zu sozialer Bewegung. Alles was im entferntesten Protest-Bezug haben könnte, scheint festgehalten zu sein.

Das oben erwähnte Konstrukt mit einem Kreis aus „Haupt-Betroffenen“, die sich mit anderen vernetzen, findet seine scheinbare Bestätigung in der Frage wer nun wen kennt. Hier schlüsselt das BKA detailliert auf, dass die Betroffenen sich untereinander meist überhaupt nicht kennen und auch noch nie gesehen haben. Bei denen, die sich kennen wird dies meist durch Telefonmitschnitte belegt, besonders verdächtig sind dabei immer die Mitschnitte, die sie nicht verstehen.

Es folgt eine lange Liste mit Menschen, zu denen ich irgendwann Kontakt hatte. Näher eingegangen wird nur auf eine Freundin, bei der das BKA ausrechnet, wie oft wir telefonieren und einige Seiten darüber schreibt was wir so reden, wie ihr Anrufbeantworterspruch ist, und dass ich da auch mal übernachte.

Das ganze endet mit dem Versuch, aufzuschreiben ob und wann ich verreise und einer Aufschlüsselung welche Nummer ab wann abgehört wird, seit wann ich zur Beobachtung ausgeschrieben bin und seit wann ich komplett observiert werde.

1Kurzer Prozess auf dem Album Blaulichtmilieu.

2Andrej wurde wegen seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit Stadtentwicklung observiert und mehrere Wochen inhaftiert. Er sei Mitglied der militanten gruppe (mg). Als Beweis wurde genannt, dass er die selben Worte wie die mg verwende, Worte wie Gentrifizierung. Auch das Verfahren gegen Andrej ist mittlerweile eingestellt. Mehr bei AnnaList und Einstellung!

3Zu §129a-Verfahren im allgemeinen empfehle ich die entsprechenden Publikationen der Roten Hilfe.
http://www.rote-hilfe.de

4Bei anderen Betroffenen waren es zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Jahre.

Comments are closed.